Eine neue Ära der Agrarwirtschaft

Interview mit
Prof. Dr Peter Pickel, JOHN DEERE GmbH & Co. KG

tec.news im Gespräch mit Prof. Dr. Peter Pickel, Manager External Relations bei der JOHN DEERE GmbH & Co. KG, über Zukunftstrends in der Landwirtschaft

tec.news: Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Landtechnik zukünftig verändern? Gibt es besondere Trends?

Prof. Dr. P. Pickel: Für die Landtechnik spielen in den nächsten Jahren zwei Megatrends eine besondere Rolle – zum einen die „Landwirtschaft 4.0“, eine Anlehnung an den Begriff „Industrie 4.0“, sowie zum anderen die Elektrifizierung.


 

tec.news: Wie definieren Sie Landwirtschaft 4.0?

Prof. Dr. P. Pickel: Während für Industrie 4.0 verschiedene Entwicklungsstufen definiert sind, lässt sich parallel dazu dieses Modell auch für den Begriff „Landwirtschaft 4.0“ ableiten: Phase 1 war die Erfindung der Landwirtschaft vor 12.000 Jahren, Menschen steckten Pflanzensamen gezielt in den Boden, um Nutzpflanzen anzubauen und gleichzeitig Tierhaltung zu betreiben. Mit Phase 2 wurden im 19. Jahrhundert Kraftmaschinen eingeführt, Phase 3 beschreibt die ersten Schritte der Automatisierung in den 1970er Jahren.

Seit den frühen 2000ern befinden wir uns in Phase 4, in der erste Satelliten-gestützte Positioniersysteme etabliert wurden. Mit Landwirtschaft 4.0 verfolgen wir bei John Deere unsere Vision „Make every seed count – Make every drop count – Make every grain count”. Für uns bedeutet dies also „Jeder Samen zählt – Jeder Tropfen zählt – Jedes Korn zählt“: Wir wollen beim Ackerbau jede Pflanze als Individuum betrachten und ihr das an Nährstoffen, Wasser und Pflanzenschutzmaßnahmen geben, was sie braucht, um bei minimalem Input einen maximalen Ertrag zu erzielen.


tec.news: Wie setzen Sie Ihre Vision um?

Prof. Dr. P. Pickel: Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die unterschiedlichen Schritte in Form eines Produktionssteuerungssystems zusammenzuführen. Die Integration und Verbindung der vier Produktionsprozesse – Bodenbearbeitung, Pflanzen/Säen, Pflanzenpflege wie Düngung und Pflanzenschutzmaßnahmen sowie Ernte – sehen wir bei Landwirtschaft 4.0 als Schlüssel. Unser heutiges Farm-Managementsystem werden wir konsequent daraufhin ausbauen. Dabei geht es um die Maschinen-Optimierung, wie etwa die Vernetzung der Maschine mit Service-Centern, die Optimierung der einzelnen Prozesse sowie schließlich auch die agronomische Optimierung. Unser Ziel ist, die Erfahrung im landwirtschaftlichen Prozess anzusammeln und dem Landwirt mitzuteilen, wie er seinen Produktionsprozess und anschließende Fruchtfolgen langfristig gestalten kann. Diese Thematik wird uns auch noch in den nächsten 10 Jahren beschäftigen.


 

tec.news: Wie weit ist der Grad der Autonomie auf diesem Gebiet bereits fortgeschritten??

Prof. Dr. P. Pickel: Wir haben derzeit einen Traktor unserer 8000er Serie auf den Markt gebracht, der bereits voll autonom betrieben werden kann. Dabei führen wir beispielsweise die Maschine entlang vorgeplanter Pfade und positionieren sie mithilfe von Satellitenortungssystemen und terrestrischen Korrektursignalen.

Bei Bedarf lassen sich aber auch nur Teilaufgaben automatisieren, wie etwa die Übergabe von Erntegut vom Mähdrescher an einen Traktoranhänger. Sobald der Traktor sich nähert, übernimmt der Mähdrescher die komplette Kontrolle über Traktor und Anhänger und führt die Maschine so, dass eine gleichmäßige optimale Befüllung erfolgen kann. Allerdings ist das Thema Autonomie derzeit vornehmlich in den USA relevant, rechtliche Rahmenbedingungen verbieten in Europe den Einsatz autonomer Maschinen im Kontext der Landwirtschaft.


tec.news: Welche Rolle spielt darüber hinaus der von Ihnen eingangs erwähnte Megatrend der Elektrifizierung?

Prof. Dr. P. Pickel: Für einen landwirtschaftlichen Betrieb liegt das größte Potenzial der Energieerzeugung und Reduktion von CO2 in der Elektrifizierung. Aber nicht nur der Zugang zu erneuerbaren Energien wird durch Elektrifizierung geprägt. Für uns spielt die gute Steuerbarkeit und Regelbarkeit von Feinsteuerungssystemen eine ebenso bedeutende Rolle. Elektrifizierung bietet uns die Möglichkeit, Systeme für höchste Präzision in der Pflanzenbehandlung zu entwickeln. Einen wichtigen Connectivity-Beitrag leistet an dieser Stelle auch HARTING: Für unsere 8000er Serie beziehen wir den AEF Steckverbinder inklusive Kabelbaum von der Technologiegruppe.


 

tec.news: Kommen bereits Batterie-elektrische Landmaschinen zum Einsatz?

Prof. Dr. P. Pickel: Wir bei John Deere wollen Landmaschinen mit Batterien ausstatten, die auch höhere Leistungen realisieren können und einen ganzen Tag lang Arbeiten verrichten, ohne nachgeladen werden zu müssen. Mittelgroße und große Traktoren lassen dies heutzutage noch nicht zu. Damit diese dennoch elektrisch die aufwändigen Bodenbearbeitungsaufgaben vornehmen können, haben wir die Möglichkeiten kabelelektrischer Fahrzeuge untersucht und das Vorentwicklungsprojekt der „Feldschwarmeinheit“ vorgestellt. Traktorähnliche Maschinen werden über ein Kabel vom Kabelführungsgerät mit Strom versorgt. Der Antrieb der hochkompakt gebauten Maschine mit 500KW Spitzenleistung kann eine Leistungsdichtensteigerung bis Faktor 5 realisieren.


 

tec.news: Was ist Ihr Fazit zum derzeitigen Stand und Ihr Ausblick auf die nächsten zehn Jahre der Agrarwirtschaft?

Prof. Dr. P. Pickel: Aktuell steht beispielsweise das Projekt „Nachhaltige Landwirtschaft mit Künstlicher Intelligenz (NaLamKi)“ auf unserer Agenda. Hier entwickeln wir mit weiteren Partnern und Instituten Datenplattformen, um Dienste, die auf KI-Methoden aufbauen, zu vernetzen. Weiterhin beschäftigt uns das Thema „Landnetz“. Hier ist unser Ziel, Landwirten eine 4G/5G-Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, damit sie Technologien der Landwirtschaft 4.0 auf dem Feld nutzen können. Schließlich arbeiten wir an Maschinenkonzepten, auch große Traktoren (ab 100 PS) mit höheren Leistungen vollständig batterieelektrisch auszustatten. Diese Ideen sind jedoch nicht vor dem Jahr 2040 realisierbar.