Wir werden unsere gesetzten Ziele nicht mit einer normalen Evolution erreichen

Interview mit
Sven Markert Head Supply Chain & Logistics, Siemens Smart Infrastructure

tec.news im Gespräch mit Sven Markert, Head Supply Chain & Logistics, Siemens Smart Infrastructure. Er befasst sich seit über 30 Jahren mit dem Thema Supply Chain und ist seit mehr als 21 Jahren für Siemens tätig.

tec.news: Welche Ziele im Hinblick auf Nachhaltigkeit hat sich Siemens gesteckt?

S. Markert: Für uns ist das Thema Nachhaltigkeit bereits seit den 1970er Jahren relevant. Seitdem haben wir unseren Ansatz jedoch deutlich erweitert. Heute arbeiten mit einem von uns definierten, ganzheitlichen Rahmenwerk für Siemens, mit dem wir unser Engagement auf eine neue Ebene heben. Wir haben es unter dem Namen DEGREE zusammengefasst.  Es basiert auf sechs Handlungsfeldern zu Nachhaltigkeit, die wir zukünftig dynamisch und kontinuierlich weiterentwickeln. Dabei geht es konkret um:

  • Decarbonisation: Unterstützung des 1,5-Grad-Ziels zur Bekämpfung der globalen Erderwärmung
  • Ethics: Eine Kultur des Vertrauens fördern, ethische Standards einhalten und mit Daten sorgfältig umgehen.
  • Governance: Anwendung modernster Systeme für effektives und verantwortungsvolles Geschäftsverhalten.
  • Resource Efficiency: Kreislaufwirtschaft und Dematerialisierung erreichen
  • Equity: Förderung von Vielfalt, Inklusion und Gemeinschaft, um ein Gefühl der Zugehörigkeit zu schaffen.
  • Employability: Unsere Mitarbeiter befähigen, in einem sich ständig verändernden Umfeld resilient und relevant zu bleiben.
     

Auf unserem diesjährigen Supply Chain Sustainability Day wurde dieses Rahmenwerk von Judith Wiese, Chief People and Sustainability Officer sowie Mitglied des Vorstands der Siemens AG, vorgestellt.

Für uns sind in Bezug auf Nachhaltigkeit viele Projekte relevant – von kleinen Pilotprojekten in der E-Mobilität bis hin zur intelligenten Transportsteuerung und die gesamte Planung der Lieferkette. Der große Hebel für uns dabei ist die gesamte Netzwerkplanung.


tec.news: Wie wird sich das Thema Nachhaltigkeit in den kommenden Jahren auf die Logistik auswirken – mittel- und langfristig?

S. Markert: Aktuell haben wir rund 500.000 Produkte im Feld, jeweils mit ihren eigenen  Produkt-Footprints. Für uns bedeutet das: wir werden unsere gesetzten Ziele nicht mit einer normalen Evolution erreichen. Alle Stakeholder und Bereiche sind heutzutage kontinuierlicher Veränderung unterworfen, das gilt auch für Lieferketten und die Logistik. Hier wird Nachhaltigkeit zukünftig ein gleichberechtigtes Thema neben den Aspekten Kosten, Liquidität und Leistung sein. 


tec.news: Kann Logistik überhaupt nachhaltig sein?

S. Markert: Transport ist ein Verbrauch von Ressourcen und mit Blick auf Nachhaltigkeit sicherlich DER Verbrauchsfaktor schlechthin. Transport muss also so ressourcenschonend wie möglich erfolgen. Wir bei Siemens sprechen von „Glokalisierung“, wenn wir den verbrauchenden Faktor im Transport und die Regionalisierungs-Themen in Bezug auf Optimierungspotenziale ins Visier nehmen. Fest steht: Der internationale Transport und das Exportgeschäft werden weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Wir können auch nicht alles lokal in der kleinsten Einheit herstellen – also müssen wir ressourceneffizient vorgehen. Für den Bereich der Supply Chain bedeutet dies beispielsweise, dass das ganze Netzwerk-Design eine bestmögliche Kombination erreichen muss. Ebenso wird der aktuelle Trend zur Losgröße 1 durch Glokalisierung eine andere Ausrichtung erfahren. Am Ende macht es die richtige Balance aus: wir werden nicht alles lokal herstellen können, die Globalisierung hält weiterhin an und der Transport muss darauf mit einem bestmöglichen Lieferketten-Design reagieren. 


tec.news: Wie sensibilisieren Sie Kunden und Partner für das Thema Nachhaltigkeit?

S. Markert: Prinzipiell ist das Thema ja aktuell in aller Munde – es ist also gar nicht zwingend nötig, zu sensibilisieren. Wir machen es dennoch: durch mediale Präsenz, als Thema bei Capital Market Days und Supply Chain Sustainability-Tagen, auf Lieferantentagen auf regionaler Ebene. Gleichzeitig kommunizieren wir in diesem Zusammenhang aber auch deutlich unsere Erwartungshaltung.


tec.news: Was werden Ihrer persönlichen Meinung nach künftig die größten Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität sein?

S. Markert: Natürlich sind Zertifizierungen, Qualifizierungen und Produktanforderungen immer eine Herausforderung, dennoch denke ich, dass sich technische Probleme eigentlich immer gut lösen lassen. Die größte Herausforderung ist meiner Ansicht nach aber eine kulturelle Veränderung des gesamten Systems. Mit Blick auf den Kunden bedeutet dies, dass auch er gesamtheitlich gefragt ist. Wenn ein Kunde möchte, dass unser Portfolio komplett klimaneutral ist, dabei aber keine Veränderung und Einschränkung akzeptiert, ist dies schwer miteinander zu vereinbaren. Der Weg zur Klimaneutralität wird mit Investitionen und Kompromissen einhergehen. Wir stehen vor der großen Entscheidung: Welche Kompromisse gehe ich ein, welche liebgewonnenen Gewohnheiten ändere ich?


tec.news: Was sind aus Ihrer Sicht Quick Wins?

S. Markert: Einfach machen, nicht viel diskutieren und analysieren, sondern direkt loslegen. Dies können auch kleinere Projekte im abgegrenzten Rahmen sein, beispielsweise aus der Produktentwicklung. Aber natürlich gibt es derlei Beispiele auch aus der Logistik, wie etwa die Umstellung auf E-Fahrzeuge mit garantiert grünem Strom.


tec.news: Wo sehen Sie die Logistik in Bezug auf Nachhaltigkeit im Jahr 2030 bzw. 2050?

S. Markert: Wir haben uns natürlich für 2030 und für 2050 entsprechende Ziele für die Supply Chain und die Logistik gesetzt. Grundsätzlich ist Nachhaltigkeit für mich ein Alleinstellungsmerkmal und wird zunehmend ein beherrschender Faktor sein. Unternehmen, die die komplexen Anforderungen einer nachhaltigen Supply Chain nicht bewältigen können, werden langfristig am Markt nicht bestehen. Bei vielen wird ein Neuerfinden des Geschäftsmodells notwendig. Und auch für uns sind nachhaltige Lieferketten und eine nachhaltige Logistik ein integrativer Bestandteil unserer Zukunftssicherung.