HANNOVER MESSE 2024: Der Ort für das Gemeinschaftswerk „nachhaltige Industrie“

Interview mit
Dr Jochen Köckler, Chairman of the Board of Management of Deutsche Messe AG

Ende April begrüßt die Hannover Messe wieder die führenden internationalen Industrieunternehmen. Die Leistungsschau wird dabei immer mehr zum Ausgangspunkt nachhaltiger Zukunftsvisionen. Das zeigen neben dem diesjährigen Motto auch die Wahl des Partnerlandes und die Präsenz der sogenannten All Electric Society.

Wenn der Begriff Industriemesse fällt, gilt die HANNOVER MESSE als unangefochtene internationale Leitveranstaltung. Das spiegelt auch der jeweilige Themenschwerpunkt. In diesem Jahr lautet das Motto „Energizing a Sustainable Industry“: Die Unternehmen aus dem Maschinenbau, der Elektro- und Digitalindustrie sowie der Energiewirtschaft wollen zeigen, dass sie nicht nur an einer leistungsstarken, sondern auch an einer nachhaltigen Industrie arbeiten. Mehr als 4.000 Aussteller sind vor Ort und wollen als vernetztes industrielles Ökosystem agieren. Oberstes Ziel ist die Klimaneutralität. Produkte und Dienstleistungen rund um die Elektrifizierung, Digitalisierung und Automation sollen helfen, es zu erreichen.

Ein 360-Grad-Blick ist der Anspruch der Messe. Die thematische Schnittmenge zur All Electric Society, also einer Zukunft, in der weltweit CO2-neutral gewonnene Elektrizität die zentrale Energieform darstellt, ist Dr. Jochen Köckler, Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Messe AG, bewusst: 

 

Energieeffizienz steht an aller erster Stelle. Die grüne Energie muss dann verschiedenen Dinge erfüllen: Sie muss grundlastfähig dauerhaft da sein, weshalb Energiemanagement ein wichtiges Thema ist. Und das große Thema Wasserstoff findet auf der Messe auch wieder statt und passt zum Stichwort All Electric Society. Das ist die Basis dafür, dass wir eine nachhaltige Industrie werden.

Dr Jochen Köckler
Vorstandsvorsitzender der Deutsche Messe AG

Aber es ist nicht damit getan, erneuerbare Energie zu produzieren. Laut Köckler braucht es immer die Möglichkeit, diese Energie auch tatsächlich nutzen zu können. Ein wichtiges Stichwort sei dabei die Sektorenkopplung – das heißt den Energiesektor mit den Sektoren Industrie, Verkehr und Gebäude zu verbinden und dann gemeinsam zu optimieren. Ein einzelnes Unternehmen kann das nicht leisten. Monopolsituationen wie in der Digitalisierung helfen hier nicht weiter. Vielmehr funktioniert „Sustainable Industry“ mit den Worten Klöckers „nur als Gemeinschaftswerk in dem wunderbaren Mix aus Konzernen, Mittelstand und Start-ups“.

Die Anbieter kommen dabei aus Industrien, die die drei Megatrends Automatisierung, Digitalisierung und Elektrifizierung mit Leben füllen. Die beiden erstgenannten sind in Hannover nicht neu, erhalten aber immer neue Ausprägungen und einen veränderten Stellenwert. So galt die Automatisierung in ihren Anfängen noch als Gefahr für die hiesigen Arbeitsplätze. Inzwischen macht alleine schon der demografische Wandel ihren Einsatz unabdingbar. Auch die Digitalisierung begleitet die Messe schon lange: Seit 2013 ist sie auf der HMI unter dem Begriff Industrie 4.0 allgegenwärtig. Durch die künstliche Intelligenz erlebt die Digitalisierung nun nochmals eine starke Beschleunigung.

Daneben hält die Elektrifizierung als dritter Megatrend in Hannover stärker Einzug. Messe-Vorstand Köckler betont ihre Relevanz: „Was nützt mir die beste Digitalisierung in der Cloud oder im Server Center und was nützt die beste Automatisierung, wenn ich nicht sicher verfügbare Energie habe?“ Deutschland sei ein prominentes Beispiel dafür, wie wichtig hier eine sichere Basis sei. Nicht nur wegen des Ausstiegs aus der Atomkraft, sondern auch weil man sich wegen der geopolitischen Veränderungen und des CO2-Ausstoßes unabhängiger von Kohle und Gas machen müsse. Das Ziel müsse eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Industrie sein. Die Elektrifizierung sei demnach ein globales Projekt, das nicht nur durch die Politik, sondern auch durch Unternehmen wie HARTING vorangetrieben werden könne.

Die Sektoren auch auf einer Hannover Messe zu koppeln, gelingt laut der Messemacher vor allem durch die einzigartige Einbindung wesentlicher IT-Player, also Unternehmen wie Microsoft, Google, Amazon Web Services und SAP, die sonst auf einer Industriemesse nicht geballt auftreten. Sie und eine große Zahl an Start-ups finden sich in den Hallen 14 bis 17 und stehen für das digitale Ökosystem. Mit Konzernen wie Siemens und Schneider Electric hat man außerdem Vertreter, die laut Köckler „die OT und IT verbinden, was ebenfalls ein USP für unsere Messe darstellt“.

Die Zusammenführung von Automatisierung und Energie findet in Halle 11 statt. Beide Themen füllen jeweils weitere Einzelhallen. Doch in Halle 11 werden sie noch konkreter verbunden, und dort wird auch die „All Electric Society“ mit einem Gemeinschaftsstand bzw. einer so genannten Arena abgebildet. Federführend dabei war der ZVEI, der Verband der Elektro- und Digitalindustrie.

Halle 13 wiederum steht im Zeichen des Wasserstoffs. „Da entsteht eine ganz neue Industrie. Sicherlich wird dieser Prozess im Vergleich zum Thema KI länger dauern. Aber wenn ich bei unserem diesjährigen Motto ‚Energizing a Sustainable Industry‘ bleibe, wird die Energie dafür auf erneuerbarer Basis geschaffen. Dabei wird Wasserstoff eine enorme Rolle spielen“, so Köckler.

Der Manager hebt nochmals den persönlichen Austausch hervor, den eine Messe ermöglicht: „Wir haben auch digitale Formate ausprobiert. Es hat sich aber ganz klar gezeigt: Das ist wie Schwimmen ohne Wasser.“ Der persönliche Kontakt bleibt ein entscheidendes Argument für die Messe, auch weil dort Industrie auf Politik trifft. Deshalb spielt laut Köckler die Eröffnung mit Bundeskanzler Olaf Scholz, der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie Jonas Gahr Støre, Ministerpräsident des diesjährigen Partnerlandes Norwegen, eine wichtige Rolle: „Die Politik will dort mit den Ausstellern auch gemeinsam beschließen, wie es nach vorne geht. Es gilt, die Industrieproduktion in Europa zu halten.“ Gerade die vielen Anmeldungen chinesischer Unternehmen würden zeigen, dass der Markt interessant sei und europäische Firmen hier ihr Heimspiel nutzen könnten.

Über den Partner Norwegen freut sich der Messevorstand besonders: Mit ihm habe man ein Land gewinnen können, das zum einen Energieproduzent ist und zum anderen seine Industrie derzeit auf Dekarbonisierung trimmt. Diese Transformation hin zu einer kohlenstoffarmen Gesellschaft kombiniert das Königreich damit, Anwendungen in Bereichen wie erneuerbare Energien, kohlenstoffneutrale Produktion oder Digitalisierung zu entwickeln. Die Ausrichtung auf grüne Energie macht Norwegen zu einem Vorbild und Partner, der Deutschland bei einer höheren Energieautonomie helfen kann.