Future topic "circular economy"
Die Defossilisierung und damit die Realisierung einer nachhaltigen Industriegesellschaft können nur gelingen, wenn auf Basis technologischer Inventionen über neuartige, am Markt erfolgreiche Geschäftsmodelle Innovationen erfolgen. Dabei spielen in Kreisläufen geführte Prozesse eine zentrale Rolle. Denn der aktuelle globale jährliche Rohstoffverbrauch von ca. 90 Mrd. Tonnen wird sich prognostisch in den nächsten 30 Jahren fast verdoppeln, wenn sich Länder mit hohem Bevölkerungswachstum in Asien und Afrika dem westlichen Lebensstandard weiter annähern. Die bezahlbare und gleichermaßen möglichst nachhaltige Versorgung von Rohstoffen stellt deshalb aktuell eine der größten Herausforderungen dar und spiegelt sich auch in den Sustainable Development Goals der UNO wider. Standardisierung und Normung werden als Katalysator auf dem Weg zu zirkulären Industrieprozessen eine zentrale Rolle spielen.
Wie lassen sich Rohstoffbedarfe nachhaltig decken? Schlüssel ist die sogenannte "Circular Economy" oder "Kreislaufwirtschaft". Ziel ist es, die Rohstoffentnahme aus der Umwelt so zu steuern, dass gleichzeitig Rohstoffquellen und Umwelt geschont sowie Wohlstand und Wohlfahrt dauerhaft gemehrt werden. Bislang werden weltweit 7 %, in der Europäischen Union 15 % des gesamten verarbeiteten Materials in Kreisläufen geführt. Recycling allein stellt eine Möglichkeit dar, diese Werte zu verbessern. Viele Unternehmen achten bereits heute freiwillig oder – besser – aus betriebswirtschaftlichen Gründen auf Nachhaltigkeit. Nationale und europäische Regularien wie der "Green Deal" setzen die Industrie außerdem zunehmend unter Handlungsdruck. Will man hier Effizienz bei Material- und Energieeinsatz erzielen, ist eine Objektivierung der Verfahren, innerhalb derer diese Prozesse ablaufen, zwingend erforderlich. Das öffnet der Vereinheitlichung von Produkten, Verfahren, Schnittstellen und Qualitäten neue Chancen, allen voran branchenübergreifenden Querschnittsnormen.
Der Ansatz der Fraunhofer-Gesellschaft
Mit dem Konzept des Materials Data Space (MDS©), eines digitalen Zwillings der Wertschöpfungskette, der szenario- und simulationsfähig ist, steht eine Grundlage für die Digitalisierung unter "Industrie 4.0" bereit. Innerhalb dieses Systems ist ein Total Design Management© (TDM) möglich, also das simultane Optimieren des Werkstoffdesigns im Sinne der Aufgabenerfüllung des Produkts, des Produktdesigns im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit und des Designs für Dekonstruktion und Recycling zur effizienten Kreislaufführung. Standardisierung und Normung stellen hier zentrale Erfolgsfaktoren dar, um einerseits die universelle Verfügbarkeit mit proprietären Nutzungsrechten zu kombinieren, andererseits auf Basis des MDS© die Beziehung zwischen Prozesseingriffen und einer objektivierten "Nachhaltigkeit" aufzuzeigen.
Beispiel "Circular Plastics Economy"
Gerade im Bereich der Kunststoffe, die aktuell zu 99 % aus fossilen Rohstoffen gefertigt werden und etwa 6 % des globalen Erdölverbrauchs ausmachen, werden zahlreiche verschiedene Ansätze erprobt, um eine "Circular Plastics Economy" erfolgreich zu etablieren. Die Dimensionen des "Systemwettbewerbs" sind alternative Quellen (biobasierte statt fossilbasierte Materialien), damit verbunden die Nutzung vorhandener oder neuer Verarbeitungstechnologien, die Möglichkeiten des Recyclings bis hin zu intelligenten thermischen Verwertungstechnologien wie etwa der Pyrolyse mit dem Ziel, reinste Industriegase zu erstellen, die wieder als Ausgangsstoff für Kunststoffe dienen.
Beispiel "Circular Electromobility"
Großes Potential birgt die Kreislaufwirtschaft auch in der Elektromobilität. Lithium-Ionen-Batterien enthalten wertvolle Rohstoffe wie Kobalt, Lithium, Nickel und Kupfer, deren Rückgewinnung sowohl aus ökonomischer wie auch aus ökologischer Sicht sinnvoll ist. Gleiches gilt für moderne Hochleistungsmagnete im Antriebsstrang, die u.a. Seltene Erden wie Neodym, Cer oder Dysprosium enthalten. Es handelt sich um einen komplexen Verbund aus Materialien, für die von Fraunhofer Verfahren entwickelt wurden, um die Komponenten materialspezifisch mit hoher Reinheit zu separieren und wieder zu verwerten.
Geschäftsmodelle
Das Managen der Informationen ebenso wie der zugehörigen Recyclingtechnologien eröffnet mannigfaltige Chancen für Gründer. Dort, wo ein Recycling ausscheidet oder Unternehmen davor zurückschrecken, Informationen in einer transparenten – weil genormten Form – preiszugeben, können andere Geschäftsmodelle zum Zuge kommen. Komplexe und wertvolle Materialien können im Eigentum der Produzenten verbleiben und im Leasing genutzt werden, wie dies bei Hochleistungsbatterien in Pkw bereits üblich ist. Auch für diese Lösungen sind Formen der Vereinheitlichung zum Objektivieren des Nachhaltigkeitsnachweis erforderlich.
"Darüber hinaus ergeben sich auch für den Technologiestandort Deutschland Chancen."
PROF. RALF B. WEHRSPOHN, MITGLIED DES VORSTANDS DER FRAUNHOFER-GESELLSCHAFT
Das Separieren der Komponenten kann durch intelligente modulare Designs vereinfacht werden, innovative Materialien werden die Einsatzmöglichkeiten erhöhen, und schlussendlich bietet das Recycling selbst neue Anwendung für die Automatisierung, in welcher der deutsche Maschinenbau Technologieführer ist. Deswegen ist es bereits heute wichtig, in solche Technologien zu investieren, die die entsprechenden Applikationen in der Zukunft ermöglichen. Für die Unternehmen mit Kernkompetenzen auf dem Gebiet der Connectivity ergeben sich hier zum einen ganz neue Möglichkeiten im Aufbau und Design der Produkte, um die Kreislaufwirtschaft auch für diese Automatisierungskomponenten zu erschließen. Zum anderen ergeben sich für die Connectivity selbst im Rahmen des Recyclings ganz neue Applikationsfelder durch innovative Ausdifferenzierungen.
Fazit
Die technologiegetriebenen Innovationen in der "Circular Economy" bedürfen wegen des Nachweises von ökonomischer Effizienz und von Nachhaltigkeit auf Basis des Konzepts des Materials Data Space (MDS) und des Total Design Management (TDM) als wesentliche Gestaltungselemente von "Industrie 4.0" der Standardisierung und Normung. Systemische und miteinander kommunizierende Wertschöpfungsketten werden so zu Wertschöpfungsnetzen weiterentwickelt. Sie bieten eine Chance für den Technologiestandort Deutschland, den es zu nutzen gilt.
Mehr Informationen zum Material Data Space finden Sie unter:
Die Fraunhofer-Gesellschaft hat es sich zum Ziel gesetzt, den Wandel vom heutigen, weltweit noch weitgehend linearen hin zu einem zirkulären System aktiv zu gestalten, forscht an den hierfür benötigten systemischen, technischen und sozialen Innovationen und den daran angepassten Wertschöpfungsnetzwerken sowie den hierfür erforderlichen Formen der Standardisierung und Normung. Für Kooperationen im Bereich der Normung und Standardisierung können Sie sich an Herrn Thomas Buhl, Competence Center Normen und Standards , unter Tel.: +49-89-1205-1700 oder per E-Mail an [email protected] wenden.