„Normung muss wieder Chefsache werden!“

Interview mit
Michael Teigeler, Managing Director of the German Commission for Electrical, Electronic & Information Technologies (DKE), about the vision of the “All Electric Society”.“

tec.news: Was ist Ihre Definition der „All Electric Society“?

Michael Teigeler: Die „All Electric Society“ ist unsere Vision einer klimaneutralen Welt, die im Wesentlichen darauf basiert, dass alles elektrifiziert wird, was elektrifizierbar ist und alles digitalisiert wird, was digitalisierbar ist. Die dazu benötigte elektrische Energie wird dabei primär aus erneuerbaren Quellen erzeugt. Ein weiterer wesentlicher Aspekt: wir verbinden digital alle bisher getrennt agierenden oder gemanagten Sektoren und etablieren somit datentechnische Verbindungen. Auf diese Weise bringen wir eine gewisse Intelligenz in das Gesamtsystem und sprechen von einer „Smartifizierung“. Nur dadurch, dass wir diese Intelligenz ins System bringen, schaffen wir diese Vision einer nachhaltigen Welt. Wenn wir Erzeugung und Verbrauch in Einklang bringen und das Thema Energieeffizienz mit einbeziehen, dann schaffen wir es, diese „All Electric Society“ zu realisieren. Im Grunde genommen sprechen wir hier von der „All Electric and Connected Society“, denn auch Wasserstoff und die ganzen E-Fuels zählen dazu, da sie ja auch elektrisch erzeugt werden. Hatten wir früher mit „Smart Grid“ die Smartifizierung des Energiesektors im Visier, gehen wir heute eindeutig weiter: wir wollen auch die anderen Sektoren, wie Industry, Mobility und Smart Home miteinander verbinden. Wir sprechen also von einem integrativen Aufbau, bei dem Strom – die Elektrizitätk – eine wesentliche Rolle spielt, aber nicht die einzige.


 

tec.news: Wie trägt die „All Electric Society“ zur Nachhaltigkeit bei? 

Michael Teigeler: Ich sage immer: ‚die beste Energie ist die Energie, die nicht erzeugt werden muss, weil sie nicht benötigt wird‘. Durch die intelligente Vernetzung der Sektoren schaffen wir die Balance aus Erzeugung und Verbrauch – verbunden mit einer entsprechenden Energieeffizienz. Der Gewinn an Energieeffizienz ist dabei viel größer als alle anderen Effekte, die wir durch die „All Electric Society“ generieren können. Durch Energieeffizienzgewinn schaffen wir die Nachhaltigkeit. Elektrizität ermöglicht es uns im ersten Schritt, elektrische Energie emissionsfrei zu erzeugen, emissionsfrei zu übertragen und emissionsfrei zu verbrauchen. Mit jedem anderen Energieträger ist ein zusätzlicher Aufwand erforderlich – und meistens auch ein elektrischer Zwischenschritt notwendig, um die Emissionsfreiheit überhaupt erhalten zu können. Sicherlich, es gibt auch andere Energiequellen, die aktuell diskutiert werden, doch am Ende keine wirkliche Alternative darstellen. 


 

tec.news: Welchen Beitrag kann Connectivity für die „All Electric Society“ leisten? 

Michael Teigeler: Im Rahmen der Konnektivität, die wir jetzt sozusagen flächendeckend garantieren werden, kommt es dazu, dass wir viel stärker als bisher Dinge miteinander verbinden und vernetzen. Konnektivität und Kompatibilität im Zusammenhang mit Intelligenz und Smartifizierung sind klare Schlüsselelemente an dieser Stelle.
In diesem Zusammenhang gibt es zwei Bereiche: den Bereich der elektrischen Energie und den Bereich der Daten und des Digital Twins. Im Bereich der Energie ist es aktuell dringend notwendig für das Thema DC entsprechende Schutzkonzepte und Safety Standardisierungen zu entwickeln. Das können wir allerdings nicht allein von uns aus tun, sondern wir sind auf Impulse aus der Industrie angewiesen. Wir selbst sind keine Normeninitiatoren, wir sind die Plattform, um Normungen durchzuführen. Dies bringt Rechtssicherheit für den Planer, den Projektierer, den Handwerker und schließlich den Betreiber.


 

tec.news: Welchen Beitrag leistet in diesem Zusammenhang die Normung durch IEC und DKE? Welche Bedeutung hat dabei das deutsche Strategieforum Normung?

Michael Teigeler: Normung liefert den architektonischen Rahmen für die All-Electric-Society. Wir bilden das ‚architectural Framework‘, wie man so schön sagt. Wir kümmern uns um die Themen Kompatibilität, Funktionsfähigkeit, Sicherheit – und das Ganze im idealen Fall als internationale Norm. Wichtig in diesem Zusammenhang: die Norm muss digital werden! Es muss sich dabei um eine maschinenlesbare, voll digitale Norm handeln. Papier-basierte Normen sind für das Voranbringen der „All Electric Society“ unbrauchbar geworden. Denn nur mit der maschineninterpretierbaren Norm können wir die gesamte digitale Prozess- und Wertschöpfungskette mit einer Norm bespielen. 
Mit Blick auf das Strategieforum der Bundesregierung sind wir natürlich froh, dass das Thema Normung seitens der Politik wahrgenommen und auch wertgeschätzt wird. Wir werden diese Chance jetzt nutzen und können durch diesen Rückenwind die Relevanz von Normung noch einmal betonen. Ich glaube, es ist bislang noch nicht überall angekommen, viele Unternehmen haben das strategische Instrument der Normung noch nicht entdeckt. Sie sehen darin noch immer eine Belastung, die man mitführen und schultern muss und nicht die strategische Komponente. 


 

tec.news: Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten Jahre gesteckt?

Michael Teigeler: Wir müssen im internationalen Normenkonzert wieder eine hörbare Rolle spielen. Wir waren früher mal führend in der Normung, das sind wir heute leider nicht mehr. 
Normen machen Zukunft. Wir können viel in Strategieforen diskutieren, wir können auch viel über geopolitische Relevanz von Normen diskutieren, aber am Schluss müssen sie gemacht und geschrieben werden. Wir sind nach wie vor stark im Bereich der technischen Normung, verlieren aber kontinuierlich an Boden gegenüber den großen Nationen wie China, USA und auch Indien. Außerdem werden wir an Geschwindigkeit zulegen, denn oftmals reguliert vorab die Politik, um für Rechtssicherheit zu sorgen mit Standards, die für Rechtssicherheit sorgen sollen. Das ist dann nicht immer die beste Lösung.  
Wir entwickeln aktuell für die „All Electric Society“ eine Normungs-Roadmap und malen letztendlich eine Landkarte, um zunächst einmal das ganze Themenfeld zu kartographieren. Danach arbeiten wir diese strukturiert ab. Wir steuern die Normungsaktivitäten in der DKE, geben eine Indikation in die richtige Richtung. So beispielsweise, wenn wir der Meinung sind, dass es an einer Stelle noch Bedarf an wichtigen Sicherheits- oder Interoperabilitätsnormen im Bereich der Verbindung der Datenräume gibt. So lassen sich Ideen gemeinsam diskutieren.  Mit dieser Austauschplattform geben wir der Vision der „All Electric Society“ eine Heimat.