Bedeutung des Digital Twin im Engineering von Maschinen und Anlagen

Interview mit
Timm Hauschke, Director Master Data Business at Eplan

Interview mit Timm Hauschke, Director Master Data Business bei Eplan. 1999 begann er bei Eplan als Consultant, wechselte später ins Produktmanagement im Bereich Automated Engineering und ist seit Ende 2018 Leiter des Bereichs „Master Data“.

Die nahtlose Integration auf Basis offener Standards aus der Perspektive von Eplan

tec.news: Mit dem Blick auf die digitale Erstellung von Automatisierungssystemen: Wie hat sich dieses Thema über die Jahre bei Eplan entwickelt?

T. Hauschke: Prinzipiell hat dies schon mit der Gründung von Eplan im Jahre 1984 angefangen. Denn der Beginn, Schaltpläne nicht mehr nur mit Tusche zu zeichnen, kann im Grunde als Vorläufer eines ersten digitalen Zwillings bezeichnet werden. Was wir also eigentlich tun ist, das digitale Abbild einer Maschine bzw. einer Anlage im Sinne der elektrotechnischen Automatisierung zu beschreiben. Dies gelingt uns mit der Eplan Dokumentation. Hier liegen unsere Wurzeln, hier haben wir uns über die Jahre sehr stark weiterentwickelt. Wir haben den Sprung vom abstrakten Schaltplan in die physischen Welt vollzogen, indem wir den physikalischen Schaltschrank digital in 3D abbilden, so wie er dann idealerweise in der Realität gebaut werden soll. Die Kombination der Informationen aus dem Schaltplan und dem 3D-Modell des Schaltschranks sind die Grundlage zur automatisierten Fertigung des Schaltschranks. Die Daten lassen sich direkt an Maschinen zur Fertigung – beispielsweise von Rittal - übergeben. Ausschnitte und Bohrungen können automatisiert angesteuert werden – ebenso die Drahtkonfektionierung inklusive Längenermittlung lässt sich automatisieren. 

Wenn man einen Schritt weiter geht in Richtung des Betriebs der Anlage, spielen heutzutage die eben skizzierten digitalen Dokumente ebenfalls eine sehr große Rolle. Rittal bietet seinen Kunden daher die „digitale Schaltplantasche". Der Kunde kann direkt via QR Code auf die digitale Dokumentation der Anlage oder des  Schaltschranks über die Eplan Cloud zugreifen – der Name ist Rittal ePocket. Damit gelingt eine effiziente Fehleranalyse, ebenso lassen sich aber auch Stillstandszeiten minimieren.


 

tec.news: Wie und an welcher Stelle kommt für Sie der Komponentenhersteller ins Spiel?

T. Hauschke: Es steht und fällt alles mit den Gerätedaten – und da beginnt der Schulterschluss zu HARTING: Die Anforderungen an die Komponentenhersteller sind heutzutage deutlich höher als früher. Alle erforderlichen Informationen zu einem Gerät sollten digital und einheitlich vorliegen damit unser gemeinsamer Kunde entsprechend der eben beschriebenen Wertschöpfungskette diese intelligent verarbeiten kann. Auf diese Weise erhält er den größtmöglichen Nutzen.

Früher stand die physikalische Komponente klar im Mittelpunkt und man hat darauf acht gegeben, dass die technischen Spezifikationen eingehalten wurden. Heute hat der Digitale Zwilling eines Produktes eine mindestens gleichwertige Bedeutung. Neben der Beschreibung des physischen Abbilds sind weiterführende digitale Abbilder zu definieren: Wie repräsentiert die Komponente sich im Schaltplan oder später dann im kaufmännischen Prozess mitsamt ihren alphanumerischen Informationen, so dass sie konfigurierbar bzw. bestellbar wird?

Im Vordergrund dabei stehen immer die Informationen, die der Konstrukteur benötigt, um effizient eine Anlagendokumentation erstellen zu können.

Mit ECLASS als neutrale Datensemantik und Klassifizierungssystem und unserem Eplan Data Standard, welcher die nötigen Informationen im Engineering beschreibt, haben wir eine effiziente Antwort auf die oben aufgeworfenen Fragen geschaffen, damit der Aufwand der Datenerstellung möglichst gering bleibt.


 

tec.news: Wir betrachten den Digital Twin auf unterschiedlichen Ebenen: in diesem Fall auch auf der Ebene des gesamten Schaltschranks. Sie sind also Nutzer einzelner Komponenten mit digitalen Zwillingen, erzeugen aber wiederum auch Komponenten daraus mit digitalen Zwillingen?

T. Hauschke: Korrekt. Das digitale Gerät ist die kleinste Einheit und der Konstrukteur stellt mit unserer Software ein System zusammen – eine Anlage, einen Schaltschrank, was wiederum ebenfalls ein digitales Abbild ist. Wenn wir jetzt beispielsweise den Blick auf eine Produktionsstraße mit fünf Maschinen richten, ergibt dies ebenfalls wieder einen digitalen Zwilling. Eine solche Kaskadierung wird ja mit der Verwaltungsschale angestrebt.


 

tec.news: Ein Digital Twin ist also nicht nur bei der Erstellung eines Schaltschranks oder ähnlichem sinnvoll- ermöglicht er Ihrer Meinung nach zukünftig auch Lifecycle Services?

T. Hauschke: Ja, absolut. Hier ist natürlich ein gegenseitiges Zusammenspiel wichtig: Wie bekomme ich die Daten aus der Produktion über den Produktionszwilling wieder zurückgespielt? Wie gelingt es also, Live-Daten aus der Anlage aufzunehmen, um Analysen zu erstellen etc.


 

tec.news: Die IDTA (International Digital Twin Association) hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit der Verwaltungsschale die funktionale Beschreibung des Digital Twins zu standardisieren. Wie beurteilen Sie diese Standardisierungsbestrebungen?

T. Hauschke: Wir sind schon lange im Kontext von ECLASS unterwegs (s. Kastentext), um in dieser Hinsicht Grundlagen zu schaffen, so wie sie auch die IDTA für den digitalen Zwilling beschreibt. Insofern haben wir ein großes Interesse daran, diese offenen Standards mitzugestalten und den Prozess aktiv zu begleiten. Aus meiner Sicht ist es genau der richtige Weg, jetzt Referenzanwendungen zu schaffen und Teilmodelle zu bilden, damit das Theoretische mit Erfahrungen aus der Praxis angereichert werden kann. Wie weit dies letztendlich geht, wird die Zukunft zeigen. Denn es ist entscheidend, wie Unternehmen das Thema umsetzen. Die Verwaltungsschale ist ein komplett neues Informationsmodell. Sie beschreibt und dokumentiert auf eine vollständig andere Art und Weise im Vergleich zu der Herangehensweise innerhalb der letzten 50 Jahre. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass sehr viele Brownfield-Anlagen existieren, kann eine Umstellung eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Für neue Anlagen ist dies sicherlich ein wichtiger Schritt, den man gehen muss.


 

tec.news: Werden die Aktivitäten von ECLASS und der IDTA zukünftig koordiniert?

T. Hauschke: ECLASS und die IDTA sind partnerschaftlich verbunden.  Wir sind auf einem sehr guten Weg, dass das Informationsmodell von ECLASS grundlegender Bestandteil der Verwaltungsschale ist, um aufzuzeigen, wie man Geräte klassifiziert und wie man sie beschreibt. ECLASS hat dazu das Informationsmodell entsprechend angepasst und um die sog. Asset-Applicationclass erweitert - ein perfektes Zusammenspiel. Damit hat man kein proprietäres Format, denn ECLASS als Standard istdIEC-konform und maschinenlesbar. Wenn ich diese Basis der Maschine-zu-Maschine-Kommunikation nicht habe, hilft mir das beste Informationssystem nichts. In diese Richtung laufen enge Abstimmungen mit der IDTA, z.B. ist hier das digitale Typenschild zu nennen, welches beidseitig semantisch eng abgestimmt ist


 

tec.news: Wie sehen Sie den Aspekt der aktiven Verwaltungsschale aus der Perspektive von ECLASS?

T. Hauschke: Hier müssen meiner Ansicht nach noch viele Diskussionen geführt werden, da derzeit viele unterschiedliche Ansätze für die Live-Daten existieren. Wir beobachten da aktuell eine hohe Dynamik. ECLASS-seitig kann ich sagen, dass alles, was wir heutzutage abbilden, 1:1 in Richtung Digital Twin genutzt werden wird. Wir sind dabei sehr gut aufgestellt, diese Informationen im Klassifizierungssystem und in der Semantik zu verankern, so dass die Informationen darüber transportiert werden können.