Höherwertige Funktionen werden entscheidend sein für den Erfolg von Steckverbindern

Interview mit
Norbert Gemmeke, Managing Director Harting Electric, on the influence of digital twins on the development of industrial interfaces

tec.News: Bis heute orientieren sich Anwender beim Design-in von Schnittstellen vor allem am Steckgesicht – an der Form, rund oder eckig, an der Anzahl der Kontakte, an Baugröße und technischen Daten. Ist das die Zukunft?

N. Gemmeke: Die physikalische Ausprägung von Steckverbindern wird es natürlich auch weiterhin geben. Heute beschränken wir uns auf die elektrischen und geometrischen Daten des Steckverbinders. Hierzu gibt es seit Jahren Bemühungen, diese Eigenschaften einheitlich abzubilden. Mit neuen Ansätzen wie dem Digitalen Zwilling haben wir die Chance, das nun endlich zu erreichen. Darüber hinaus beinhalten Steckverbinder weitere Informationen, die heute nicht abgebildet und genutzt werden.


 

tec.News: Um diese Informationen nutzbar zu machen, brauchen Industrie-Schnittstellen „höherwertige Funktionalitäten“? Welche könnten das sein? Welches Potenzial sehen Sie?

N. Gemmeke:  Das ist eine gute Frage! Was sind höherwertige Funktionalitäten? Diese müssen in Kategorien unterteilt werden.

  • Funktionalitäten, die heute schon vorhanden sind, aber in der Simulation von Anlagen gar nicht genutzt werden, wie z. B. Steck- und Ziehkräfte, Steckzyklen und Deratings.
  • Dynamische Informationen aus dem Steckverbinder wie z. B. Temperatur der Kontakte und Feuchte im Steckverbinder, die heute noch nicht erhoben werden. Energie – Erzeugung, Verteilung und Speicherung – ist unsere technologische Herausforderung der nächsten 10 bis 20 Jahre. Wir werden immer höhere Stromdichten erreichen. Hierzu müssen wir erheblich mehr über den Zustand des Steckverbinders wissen und verarbeiten.

 

Zusätzlich wird durch diese Daten die komplette Simulation von Anlagen möglich. Indem wir diese Informationen vollständig in digitalen Zwillingen abbilden, eröffnen sich neue Optimierungsmöglichkeiten. Mithilfe von Simulationen kann ich Bauteile bis in ihren Grenzbereich hinein nutzen.


 

tec.News: Wann werden wir Steckverbinder-Funktionen wie Selbstüberwachung und Zustandssteuerung, z. B. intelligentes Herstellen von Spannungsfreiheit beim Öffnen, Abbilden oder Verarbeiten von Umgebungsparametern in der industriellen Anwendung sehen?

N. Gemmeke: Das leitet sich aus der Geschwindigkeit ab, mit der sich die Systeme unserer Energieversorgung ändern. Betrachten wir den Einsatz von Gleichstrom (DC): Hier arbeiten wir seit Jahren an Lösungen. Eine notwendige, revolutionäre Entwicklung ist derzeit noch nicht absehbar. Steckverbinder werden künftig die genannten Funktionen bereithalten müssen. Technisch sind wir dazu in der Lage, diese Funktionen sicherzustellen.


 

tec.News: Welche Rolle spielt der digitale Zwilling bzw. die Verwaltungsschale - Standard plus Datenmodell - bei der Einführung und Gestaltung höherwertiger Funktionalitäten von Steckverbindern?

N. Gemmeke: Die Verwaltungsschale spielt eine ganz entscheidende Rolle. Ein großer Teil der Funktionen, über die wir bereits gesprochen haben, muss dort abgebildet sein. Darüber hinaus ist es zwingend notwendig, alle Daten zum „Carbon Footprint“ eines Produkts abzubilden – und das in einer ebenso standardisierten wie weiter verarbeitbaren Form. Mit dem Digitalen Zwilling muss es uns gelingen, einen Standard für Format und Schnittstellen zu setzen. Anders werden wir die Fülle der statischen und dynamischen Daten eines Produkts in Zukunft nicht beherrschen können.


 

tec.News: Welche Erfahrungen hat man mit Pilotprojekten wie SmEC (Smart Electrical Connector) gemacht? Welche Schlussfolgerungen für Standards lassen sich daraus ziehen?

N. Gemmeke: Mit dem SmEC haben wir den Prototypen eines Steckverbinders entwickelt, um genau die erwähnten funktional-dynamischen Anteile eines Steckverbinders zur Verfügung zu stellen. Diese Funktionen haben wir sowohl im DC-Umfeld als auch im Einsatz in der Smart Factory Kaiserslautern gespiegelt. Hieraus resultieren erste Ansätze für Standards. Und diese müssen in erster Näherung frei von Formfaktor und Steckgesicht sein. Finale Ansätze müssen sich aus der Anwendung ergeben.


 

tec.News: Die Funktionen werden also wichtiger sein als das physische Steckgesicht?

N. Gemmeke: Die höherwertige Funktionalität wird künftig ein entscheidendes Erfolgskriterium für Steckverbinder sein. Physische Merkmale wie Steckgesichter werden weiterhin prägen, aber nicht allein ausschlaggebend sein. Dem muss mit passenden Daten -Standards, die die statische und dynamische Funktionalität abbilden, Rechnung getragen werden. Wir wissen nicht, was die Zukunft im Allgemeinen bringt, aber für unsere Komponenten können wir sie schon jetzt aktiv gestalten.